Daß die katholische Kirche früher vehement gegen den Fußballsport zu Felde zog ist nur den wenigsten geläufig. Man kann sagen: wenn es nach dem Willen der katholischen Kirche gegangen wäre, gäbe es heute in Deutschland keinen Fußballsport. Ob man dies angesichts der zahlreichen Missstände, die den Fußballsport gegenwärtig begleiten, begrüßen oder bedauern soll, lassen wir unkommentiert. Dem Fussball entnehmen wir folgenden interessanten Schriftwechsel zwischen einem Pfarrer und dem Redakteur einer schwäbischen Tageszeitung; weder Ort noch Tageszeitung sind überliefert.
Zwischen der Schriftleitung einer schwäbischen Tageszeitung und einem katholischen Pfarrer in einem württembergischen Dorfe mit etwas über 1000 Einwohnern wurden zwei Briefe gewechselt, die wir unseren Lesern der Originalität halber nicht vorenthalten wollen.
Der erste Brief, der vom katholischen Geistlichen an die betreffende Zeitung gerichtet wurde, lautet:
"Sonntagsruhe. Der holländischen zweiten Kammer liegt ein neuer Gesetzentwurf über die Sonntagsruhe vor. Nach diesem soll eine strenge Sonntagsruhe eingeführt werden. Unter anderem werden öffentliche Spiele wie Fußballspiele, die dort zu einer reinen Landplage geworden sind, verboten. Und bei uns ? Wehe dem, der es wagt, ein Wort gegen diesen neuen Sport zu sagen. Er ist ja modern, und was modern ist, ist ja gut. Zudem kommt der Sport vom Auslande und dann muß er doppelt gut sein. Mag sein, daß er für Stubenhocker zu empfehlen ist, aber da hat nach unserer Ansichtdas bisherige Turnen doch bessere Dienste getan, und zwar deswegen, weil bei den verschiedenen Turnübungen sämtliche Muskeln in Tätigkeit kamen ... während beim Fußballsport in erster Linie die Fuß- und Beinmuskeln in Tätigkeit treten. Das methodische Turnen hat auch ferner feinere Formen, während wir dies vom Fußballspiel nicht allweg sagen können. Dieser moderne Sport mit seiner wichtigtuenden Aufmachung in den Zeitungsberichten ist nach unserer Ansicht nicht zu empfehlen. Auf dem Lande z. B. möchten wir in den Jugendvereinen eher das Jahnturnen empfehlen, vorausgesetzt, das g e i s t i g e T u r n en wie Kursübungen in Buchführung, theoretische und praktische Übungen in landwirtschaftlichen, gewerblichen und anderen Berufsfragen."
Auf vorstehenden Brief antwortete ein Redakteur, der nebenbei bemerkt kein Fußballspieler ist, mit folgendem ausführlichen Schreiben:
Ihre Stellungnahme zur Sonntagsruhe, die sich in der Hauptsache gegen den Fußballsport richtet, können wir leider nicht veröffentlichen. Wenn Holland jetzt darangeht, zur vollständigen Durchführung der Sonntagsruhe auch den Sport zu verbieten, so ist dies bei den dortigen Verhältnissen leicht erklärlich. Der Sport wird ja in Holland dadurch nicht verboten, wäre auch bei der ungeheuren Ausbreitung des Fußballsportes in Holland nicht möglich; verboten wird lediglich das Spielen an Sonntagen. Das ist umso leichter möglich, als dort die englische Geschäftszeit eingeführt ist, die bei durchgehender Arbeitszeit ohne Mittagspause ( nur kurze Vesperpause ) um drei Uhr nachmittags, an Samstagen bereits 1 Uhr nachmittags, die Fabriken und Bureaus schließt. Der Sport wird daher dort nicht nur jeden Sonntag nachmittag wie bei uns ausgeübt, sondern bei schöner Witterung täglich in der Zeit von fünf bis sieben Uhr abends. Daher ist das Verbot des Sonntagsspiels in Holland eigentlich etwas Selbstverständliches, auf unsere Verhältnisse aber nicht anwendbar.
Was den Fußballsport an sich betrifft, so ist dazu zu sagen, daß es bei der ungeheuren Ausbreitung dieses Sportes für eine Zeitung heute unmöglich ist, sich dagegen zu stemmen; das wäre genau so, als wenn man gegen das Essen und Trinken Front machen würde. Denn Sport und Turnen braucht die Jugend so notwendig wie Essen und Trinken. Daß das Turnen - in Ihrem Briefe Jahnturnen genannt - durch den Fußballsport zurückgedrängt wird, ist eine Folge der Zeit, in der wir leben. Im Turnen wird meist nach Kommando geturnt, während im Fußballsport jeder Spieler innerhalb der strengen Spielregeln vollständige Freiheit hat, so daß seiner Tüchtigkeit und seinem individuellen Schaffen keine Schranken gesetzt sind. Während beim Turnen die Leistungen des Einzelnen nicht so sehr hervortreten und bald wieder vergessen sind, winken beim Fußballsport jedem Einzelnen durch besondere Leistungen sichtbare Erfolge, die sich im Erfolg und Resultat seiner Mannschaft ausdrücken. Das bedeutet einen sehr wertvollen persönlichen Ansporn für den Einzelnen, der beim Turnen fehlt.
Der Einwand, daß nur die Fuß- und Beinmuskeln in Bewegung sind, während die übrigen Muskeln vernachlässigt werden, kann nicht standhalten. Denn es ist erwiesen, daß kein Sport alle Körperteile in gleichem Maße so sehr in Anspruch nimmt ( besonders auch Lunge und Augen ) als der Fußballsport. Diese Beweise werden Hochwürden vielleicht parteiisch und lächerlich erscheinen, aber dennoch sind sie für jeden Kenner des Fußballsports - ich betone hier ausdrücklich, daß ich persönlich kein aktiver Fußballer bin - beweiskräftig.
Hochwürden haben vielleicht noch nicht Gelegenheit gehabt, erstklassige Wettspiele mit einigen tausend Zuschauern zu besuchen. Da wird gespielt wie auf einem Schachbrett, nicht im tollen Herumlaufen, wie man sich oft das Fußballspielen vorstellt. Die große Zahl der Zuschauer bei den Wettspielen zwingt auch die Zeitungen, von derartigen Veranstaltungen Notiz zu nehmen. Die Großstadtblätter sind sogar gezwungen, ganze Seiten und ganze Beilagen dem Sport zu widmen, so groß ist das Interesse und die Nachfrage nach derartigen Notizen und Artikeln.
Es wäre ein nutzloses Beginnen, in dieser Sache gegen den Strom zu schwimmen. Die Notwendigkeit dieses Sportes ist speziell in den Städten zweifellos vorhanden. Wo würden in den Städten Sonntags nachmittags die Tausende von Burschen hingehen ? Geben wir uns keiner Täuschung hin: Die wenigsten in die Kirchen, sicherlich würden die meisten in den Wirtschaften bei Bier, der unvermeidlichen Zigarette und Wein, Kartenspielen oder Kinos besuchen. Es ist besonders beachtenswert, was kürzlich ein bekannter Kinobesitzer äußerte: "Die größte Konkurrenz an den Sonntagen sind die Fußballwettspiele !" Das ist nur zu begrüßen und nicht zu verwerfen.
Ein Umstand, der besonders wichtig ist, soll hier auch nicht unerwähnt bleiben: Die Disziplin. Bei dem vollständigen Fehlen der Militärzeit ist es zu begrüßen, daß die Jugend sich in den Sportvereinen freiwillig den Anordnungen der Spielleiter, Schiedsrichter usw. unterordnet. Und man kann die staunenswerte Beobachtung machen, daß sonst rohe, rechthaberische und streitsüchtige Burschen auf dem Fußballfelde dem Pfiff des Unparteiischen ohne Widerrede Folge leisten. Ausschreitungen und Rohheiten kommen nur bei Spielern vor, die noch nicht spielen können. Denn die Grundbedingung jedes Spieles und Sportes ist Ordnung und Disziplin. In den Städten werden jeden Sonntag Hunderte von Wettspielen mit Tausenden von Zuschauern ( oft bei einem einzigen Wettspiel 10000 und mehr ! ) abgehalten und alle verlaufen ohne größeren Zwischenfälle. Ein Mann - der Schiedsrichter - dirigiert das Spiel und Tausende horchen seinen Entscheidungen, die absolut nicht willkürlich, sondern an strenge Regeln gehalten sind.
Große Volksspiele hat man schon seit alters her. Im alten Rom, im alten Athen, in Ägypten, im Mittelalter die Turniere, kurzum überall und zu jeder Zeit hatte das Volk große Spiele. "Panem et circenses !" war ja seit jeher der Ruf der Menge. Wenn in Deutschland der Fußballsport zum wirklichen Volkssport geworden ist, so ist dies jedenfalls sehr erfreulich, viel sympathischer für uns Deutsche als Boxen, freies Ringen oder gar Stierkämpfen.
Ihre Anregungen, in den Gesellenvereinen Buchführungskurse, landwirtschaftliche und sonstige Kurse und Veranstaltungen abzuhalten, ist auch sehr zu begrüßen, aber dennoch dürfen wir deswegen die körperliche Betätigung, das Bewegen in frischer Luft, die Muskelstärkung und vor allem - das richtunggebende beim Fußballsport, das ihn für die heutige nervöse und hastende Zeit besonders nowendig für die Jugend macht - die Prüfung der Geistesgegenwart nicht aus den Augen verlieren. Mens sana in corpore sano !
Zum Schlusse möchte ich noch erwähnen, daß auch die Geistlichkeit bereits den oben dargelegten Anschauungen nicht ablehnend gegenübersteht - im Gegenteil. Als Beweis dafür führe ich die Worte des Hochwürdigsten Erzbischofs Dr. Fritz aus Freiburg an, der auf dem letzten Gautag der Gesellen-, Jugend- und Jungmännervereine in Freiburg in einer längeren Ansprache sich als Freund und Förderer der Leibesübungen und des Sportes bekannte. Er rief den Gesellen zu: "Üben Sie und pflegen Sie Turnen, Sport und Spiel - selbstverständlich nicht, daß man übertreibt und der Gesundheit schadet !" - Dieser Mahnruf möge allen Leitern von Burschen- und Jugendvereinen gelten. Ein neues ungeahntes Betätigungsfeld eröffnet sich da Ihnen und neues frisches Leben wird in ihren Vereinen erblühen !
Nehmen mir, Hochwürden, die etwas zu lang geratenen Ausführungen nicht übel, aber sie waren notwendig, um verschiedene Vorurteile, die gegen den Sport und im Besonderen gegen den Fußballsport bestehen, zu zerstreuen.
Mit besten Grüssen ...
( Fußball Nr. 7, 15.02.1921, Seite 292 )