Wie in vielen anderen Orten, so mußte sich der Fußballsport auch in Kempten seinen Platz in der "Mitte" der Gesellschaft erkämpfen. Über den 1919 gegründeten FV Kempten las man im Jahr 1920:
Zurzeit muß sich der FC Kempten, ein guter A-Verein, mit dem städtischen "Eislauf-Platz" begnügen - ein Spielfeld und doch kein Spielfeld ! Verschiedene Male nun hat sich der Verein, dem von Seiten der Einwohner das größte Interesse entgegengebracht wird, an die Stadtverwaltung Kempten um Überlassung eines geeigneteren Sportplatzes gewandt. Und wie waren die Ergebnisse ? Gleich Null ! ... Wie hoch wird doch in anderen Städten des Landes der Sport und vor allem der Fußballsport geschätzt ! Und warum gerade hier nicht ? ... Der FC Kempten darf sich gegenüber den Hofer Vereinen ruhig den Namen "südliches Sibirien" beilegen. ... Vielleicht hat der Stadtrat Kempten doch einmal ein Einsehen, wie notwendig es ist, gerade den Sportvereinen mit Rat und Tat an die Hand zu gehen. Es wäre auch zu wünschen, daß sich unsere Verbandsleitung einmal mit dieser schweren, aber desto dankbareren Aufgabe befaßt und auf die betreffenden Stellen einwirkt, zum Wohle unseres ganzen, edlen Fußballsportes, und zum Wohle des erblühenden Fußballklubs Kempten !
Ein schönes Beispiel für das in vielen Turnvereinen zu Beginn der 20-er Jahre gestörte "Miteinander" zwischen Turnern und Fußballern zeigt uns der Fall "TV Deggendorf". Dies führte letztlich zu einer Loslösung der Fußballer vom Gesamtverein und Gründung eines Fußballvereins. Im Fußball vom 15. April 1920 lesen wir:
Wie man den Fußballsport in Deggendorf untergraben will
Wie in den meisten Turnvereinen durch das lange Zurücktreten des Sportes infolge des Krieges jedes Interesse für körperliche Erziehung der Jugend fehlte, hat sich im Laufe des Jahres 1919 ein ganz gewaltiges Auflodern deutschen Sportsgeistes gezeigt.
So wurde auch im Deggendorfer Turnverein 1861 durch den damaligen Turnwart, der das Leben der Jugend, die sich vor allem dem Fußballsport widmete, richtig einschätzte, eine Fußballabteilung gegründet. Schon in den Anfängen zeigte sich das lebhafteste Interesse der Abteilung für ihren Sport, und so ist es auch leicht verständlich, wie die jungen Elf sich für die Verbandswettspiele um die B-Meisterschaft sich bereits bewerben konnten. Durch das rasche Emporkommen der Abteilung wurden allmählich Stimmen vom egoistischen Standpunkte Einzelner aus gegen die Abteilung laut. Das war der Anfang zu den Treibereien und Zwistigkeiten innerhalb des Vereins. Trotzdem in der Generalversammlung im Dezember 1919 die Fußballabteilung sich vollständig den Statuten, die von Seiten Einzelner aufgestellt wurden und die deutlich eine Hetze und Untergrabung durchscheinen ließen, unterwarf, hatten es einzelne ältere, verständnislose Mitglieder durch fortgesetztes Schüren, die durch das äußerste Entgegenkommen der Abteilung überkleisterten Gegensätze, durch die gemeinsten Angriffe und Sprengungen auds Neue jäh zerrissen. Es bildete sich im Geheimen ein sogenannter "Zehnerrat" (?), der jede Bande kameradschaftlichen und sportlichen Geistes vollkommen durchschnitt. Eine darauf einberufene außerordentliche Mitgliederversammlung, in der sich die Mitglieder der Fußballabteilung ihrer Stimme entielten, beschloß den Ausschluß des Fußballspielens aus dem Turnverein.
Sofort wurde durch die Mitglieder der Fußballabteilung die Neugründung der jetzigen Spielvereinigung Deggendorf veranlaßt. Infolge des herrschenden Platzmangels wandte sich die Spielvereinigung an den rechtskundigen Bürgermeister, der in entgegenkommender Weise die sogenannte Volksfestwiese bis zur endgültigen Festlegung des Platzes zur Verfügung stellte. Nachdem der eigentliche Pächter dieser Wiese durch ein anderes Grundstück entschädigt wurde, konnte trotz Ersuichens der Spielvereinigung beim hiesigen Stadtrat in bezug auf dauerhafte Überlassung des äußerst günstig gelegenen Platzes nichts erreicht werden. Da bei den meisten Stadträten ein Mangel an Sportsgeist herrschte, wurde der Antrag mit neun gegen acht Stimmen abgewiesen.
Möge doch endlich einmal in deggendorfs Mauern der kleinliche egoistische Standpunkt von der Bildfläche verschwinden, damit Platz frei werde für die sportbegeisterte Jugend zur Hebung und Erstarkung unseres schwerringenden Vaterlandes.
Spielvereinigung Deggendorf
Aus eigener Initiative organisierten die Vereine des Innbezirks in der Saison 1919/20 ihre Verbandsspiele. Manche hatten bereits ihre Mitgliedschaft beim Süddeutschen Fußball-Verband beantragt, doch "die Frist bis zur Aufnahme in den Verband wäre eine allzu lange Geduldsprobe gewesen". So kam zunächst eine Herbstrunde zustande, an der 6 Vereine aus Mühldorf, Altötting, Neuötting, Dorfen, Burghausen, "der herrlich gelegenen Salzachstadt" und Trostberg a. Alz, "das wie Burghausen mit seiner aufstrebenden Industrie ein günstiger Boden für Sport ist", teilnahmen.
Die Herbstprivatrunde als Grundlage hat, sofern ihre ein- und erstmaligen Resultate als Grundlage dienen können, eine annähernde Gleichwertigkeit der größeren Vereine gezeigt. Mit einer gewissen Spannung werden die bevorstehenden Frühjahrsverbandsspiele erwartet, die über die tatsächliche Spielstärke genaueren Aufschluß geben dürften. Unser Bezirk mußte leider zur praktischen Durchführung der Spiele zerrissen werden. Die Südgruppe wird die alten Verbandsvereine Reichenhall, Rosenheim, Traunstein und das nach Süden gravitierende Trostberg umfassen. Die Nordgruppe setzt sich zusammen aus den restlichen Vereinen Altötting, Burghausen, Dorfen, Mühlburg und Neuötting. Das Entscheidungsspiel zwischen den beiden Gruppenmeistern bringt dem Sieger die Innbezirksmeisterschaft.
Über den "aufstrebenden" Fußballsport in der Südostecke Bayerns lesen wir weiter:
Selbst in ganz kleine Ortschaften auf dem flachen Lande hat der Fußball seinen Weg gefunden. Geradezu rührend ist die Begeisterung, mit der sich derartige Miniaturvereine, die häufig kaum über 11 Mitglieder verfügen, über alle Unzulänglichkeiten und Widerstände hinwegzuhelfen vermögen. Jener Indolenz, wie sie so viele Aktive großer Vereine an den Tag legen, wäre nur eine kleine Portion von solch herzerquickendem Idealismus zu wünschen ! Welche Belastungsprobe dieser Idealismus mancherorts zu ertragen hat, dürfte aus einer Auskunft erhellen, die uns vom Turnverein eines größeren Städtchens auf eine Anfrage hin zuging: "Gott sei Dank wird bei uns noch nicht Fußball gespielt !" (!!) Jeglicher Kommentar dazu erübrigt sich, man kann sich aber ein Bild machen von den Leiden einer kleinen Schar getreuer Fußballangehöriger, in solchen letzten Bollwerken eines überlebten, daher umso verknöcherten Systems. Wahrlich, diese Pioniere unserer Bewegung auf exponierten Posten wären tatkräftiger Unterstützung würdig.
Es ist zu hoffen, daß das allmählich erwachende Interesse der leitenden staatlichen Stellen in dieser Hinsicht gründlichen Wandel schaffen möge. Zu meiner Genugtuung kann ich jedoch berichten, daß Fälle wie der vorerwähnte hier immer seltener werden, in der Regel kann das Verhältnis zwischen Turnverein und Fußballabteilung ein gutes und gedeihliches genannt werden. Wenn da und dort auch noch gewisse Gegensätzlichkeiten bestehen, so können dieselben mit einigem guten Willen leicht überbrückt werden.
In der Rückschau auf die Frühjahrssaison im Innbezirk lesen wir:
.... Das letzte Verbandsspiel Altötting - Dorfen - das um eine ganze Anzahl von Wochen nachhinkte, brachte für das Altöttinger Publikum wiederum (!) einen Spielabbruch, und zwar diesmal infolge - Torwächterstreikes. Als Schiedsrichter fungierte der Herr Gauvorsitzende in eigener Person. Torwächter L. Hofmeister versah in echt sportsmännischer Hilfsbereitschaft das Amt eines Aushilfslinienrichters. Und trotz alledem sollte es nicht klappen ! In Unkenntnis oder Ignorierung der einleuchtenden Regel, daß ein der angreifenden Partei zugesprochender Elfmeter durch ein unmittelbar auf den Pfiff folgendes Tor überflüssig, ja sinnwidrig wird, glaubte der Tormann Dorfens, seinem Unmut über das Tor durch sehr demonstrative Passivität am weiteren Spielverlauf Luft machen zu müssen. So mußte das Spiel beim Stande 5:1 für Altötting abgebrochen werden, was schon um der Zuschauer willen dringend geboten erschien.
Und schließlich:
Überall taucht der Fußball auf ... und in so manchem anderen Fleckchen unseres weiten Inngebietes mit seinem großartigen Siedelungsnetz keimt es schon im Verborgenen ... sogar in dem stundenweit vom Bahnverkehr abgelegenen niederbayerischen Markt T a n n hat der Fußball über weite Hügel und Täler mit stiller Selbstverständlichkeit seinen Einzug gehalten. Gerade hier auf dem flachen Lande hält der Fußball einen rastlosen Triumphzug ohnegleichen, der ihn so recht als einen wirklichen Volkssport erkennen läßt. Zweifellos ist dies eine der wenigen erfreulichen Erscheinungen unserer Gegenwart, wenngleich die Bedeutung, die dieser machtvollen Bewegung zukommt, immer noch unterschätzt oder ganz und gar verkannt wird. Im Laufe der nächsten Jahre wird auch der letzte Winkel unseres Neulandes erschlossen und aus seiner Abgeschiedenheit heraus in die große Organisation einbezogen sein.